Zur Wahl der EU-Kommission: Meine Gründe für eine Enthaltung
eute wird die neue EU-Kommission gewählt. Die Grüne Fraktion (Greens/EFA) hat sich mehrheitlich für eine Enthaltung entschieden. Diese Position teile ich. Ich bin nicht einverstanden mit der Besetzung dieser Kommission, halte es jedoch für fatal, den derzeitigen Stillstand zu verlängern. Die Erde brennt und Europa muss dringend handeln, um effektiveren Klimaschutz auf den Weg zu bringen. Das kann nicht warten. Gleichzeitig wollen wir auch das Spiel der Rechten nicht spielen, die Europa gern als nicht handlungsfähig vorführen würden. Wir Grünen stehen für ein starkes Europa. Unsere Enthaltung ist ein Angebot: Wir geben dieser Kommission trotz Skepsis eine Chance und hoffen auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Diese Punkte unterstütze ich:
Klimaschutz – Die zukünftige Kommissionspräsidenten und der künftige für Klimaschutz zuständige Vize-Präsident Frans Timmermans haben sich für ambitioniertere Ziele im Klimaschutz und die CO²-Neutralität bis 2050 ausgesprochen. Auch wenn das aus wissenschaftlicher Sicht immer noch zu spät ist, handelt es sich um eine deutliche Verbesserung. Wir werden darauf achten, dass diese Ziele auch zeitnah umgesetzt werden.
Parité – Ursula von der Leyen hatte eine gleichermaßen mit Frauen und Männern besetzte Kommission angekündigt. Dieses Versprechen hat sie aufgrund der von den Mitgliedstaaten benannten Kandidat*innen nicht in vollem Maße halten können, aber dennoch sind 12 Frauen und 15 Männer ein deutlicher Fortschritt.
Meine Kritikpunkte:
ehlende Beteiligung – Die Grünen hätten gerne mit Inhalten und Personen zum Gelingen ambitionierter Ziele im Bereich Klimaschutz, ökogische und soziale Transformation der Wirtschaft, soziale Inklusion und digitale Grundrechte beigetragen. Das haben wir in vielen Gesprächen zwischen unserer Fraktionsspitze und Ursula von der Leyen immer wieder betont. Sie hat dieses Angebot nicht angenommen und setzt lieber auf Unterstützung durch Christdemokrat*innen, Liberale und Sozialdemokrat*innen. Das ist ihr gutes Recht. Aber für unsere Stimmen muss es auch grüne Politik geben.
Mangelnde Rechtsstaatlichkeit – Wir sehen erhebliche Probleme im Bereich Rechtsstaatlichkeit. Der von der ungarischen Regierung entsendete Kommissar Oliver Varhelyi ist ein Vertrauter des Präsidenten Orban, der die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn mit Füßen tritt. Ausgerechnet er soll für die Erweiterungspolitik der EU zuständig sein, also den neuen Beitrittsländern bei der Einführung von rechtsstaatlichen Standards zur Seite stehen. Das kann nicht funktionieren und stellt den Stellenwert von Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union in Frage.
Interessenskonflikte in der Digital- und Industriepolitik – Der designierte französische Kommissar Thierry Breton wechselt direkt von der Spitze eines großen Digitalkonzerns in die Kommission. Das wirft einen schweren Interessenkonflikt auf. Darüber hinaus hat er in der Anhörung den Eindruck erweckt, zwar die Interessen der europäischen Industrie gut voranzubringen, aber sehr wenig für den Schutz europäischer Bürger*innen und Verbraucher*innen zu tun. Das werden wir aufmerksam beobachten.
Kein Aufbruch in der Handels- und Agrarpolitik – Hier ist kein Umdenken zu erkennen. Die bisherige Außenhandels- und Landwirtschaftspolitik waren fatal für Biodiversität, Klimaschutz und soziale Standards. Ein Neuanfang ist dringend notwendig. Davon war aber in den Anhörungen der designierten Kommissare nichts zu spüren.
Mein Fazit – Diese Enthaltung ist eine klare Ansage. Wir sehen diese Kommission kritisch, vertrauen aber auf eine konstruktive Zusammenarbeit in der Zukunft. Im Europaparlament sind wechselnde Mehrheiten die Norm – wir werden uns inhaltlich einbringen, um Klimaschutz, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und eine solidarische und geschlechtergerechte Digitalisierung voranzubringen.