13. Dezember 2021

Was bewirkt der Digital Services Act? Was haben Grüne erreicht?

Die Verhandlungen über das neue Grundgesetz für das Internet, den „Digital Services Act“ (DSA), stehen vor dem Abschluss. Der federführende Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) hat über die neuen Regeln abgestimmt und ich bin als zuständige grüne Schattenberichterstatterin mit dem Ergebnis an vielen Stellen zufrieden, wo ich Transparenz, Nutzer*innenrechte und die Mitsprache der Zivilgesellschaft stärken konnte. Nun wird das Gesetz voraussichtlich im Januar in die Plenarabstimmung gehen. Lest hier meine Bewertung der Ergebnisse:

 

Was ist die wichtigsten Errungenschaften, die der Digital Services Act bringt?

Wir setzen dem Geschäft der großen Plattformen (mit mehr als 45 Millionen Nutzer*innen in Europa), die mit polarisierenden, extremistischen Inhalten Aufmerksamkeit generieren, klare Grenzen. Ganz konkret funktioniert das durch die neuen Regeln für Überwachungswerbung, Risikobewertung, unabhängige Prüfungen und den Zugang zu den Daten sehr großer Plattformen für die EU-Kommission, die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste (DSC), für die Wissenschaft und für NGOs.  Damit haben wir einen ersten richtigen Schritt getan, um die fragwürdigen Mechanismen der Plattformen zur Verbreitung von Inhalten zu untersuchen und langfristig zu regulieren. Große Wirkung erhoffe ich mir besonders davon, dass wir Grüne einen Zugang für NGOs zu den Daten der großen Plattformen wie Facebook, YouTube oder TikTok ausgehandelt haben. Damit öffnen wir die Blackbox der Algorithmen, um endlich „unter die Haube“ der Plattformen schauen zu können. Wir werden dadurch neue Erkenntnisse gewinnen, die den Weg für mehr Transparenz, Rechenschaft und Verantwortung ebnen.

Ein weiterer großer Erfolg sind die europaweit harmonisierten Meldeverfahren, um potentiell illegale Inhalte im Netz schnell und einfach zu melden. Justiz- und Verwaltungsbehörden der Mitgliedsstaaten werden endlich ihre Anordnungen gegenüber den großen Plattformen durchsetzen können. Aber auch Nutzer*innen haben mit den neuen Meldeverfahren nach Art. 14 mehr Rechte. Verpflichtende Beschwerdeverfahren und Streitschlichtungsverfahren verhelfen Nutzer*innen konkret zu ihrem Recht und setzen der bisherigen Willkür im Umgang mit illegalen Inhalten, aber auch unrechtmäßigen Löschungen und Accountsperren ein Ende.

 

Wird das Gesetz weltweite Maßstäbe setzen?

Die Welt hat in den vergangenen Monaten sehr genau verfolgt, was wir in Europa diskutieren. Es gab die Erwartungshaltung, dass wir die Macht von Facebook und Google einhegen und das Internet wieder zu einem freien Ort machen. Tatsächlich schaffen wir mit dem DSA den ersten verbindlichen Rechtsrahmen, in dem wir die Rechte der Nutzer*innen festschreiben, den Umgang mit illegalen Inhalten und ein Verbot von Werbetracking bei Minderjährigen aussprechen. Besonders relevant sind die Artikel, die uns Einblick in die Daten und Algorithmen der Plattformen geben. Das hat es so noch nicht gegeben und kann viele Entwicklungen auslösen, die künftig zu Regeln führen, die weitreichender und aus meiner Sicht notwendig sind, zum Beispiel ein generelles Ende des Missbrauchs persönlicher Daten zu kommerziellen Zwecken wie verhaltensbasierte Werbung und das Ende des von der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen angeprangerten „engagement-based ranking“, also der Tatsache, dass viel geteilte und kommentierte Inhalte schneller verbreitet werden als andere. Wir wissen mittlerweile, dass es sich dabei besonders häufig um Desinformation und Hass und Hetze oder andere polarisierende Inhalte handelt, die die Gesellschaft spalten. Diese Entwicklung bedroht unsere Demokratie, wir müssen sie stoppen.

 

Welche Auswirkungen werden die Verbraucher*innen konkret spüren?

Einheitliche Meldeverfahren für illegale Inhalte und Inhalte, die gegen AGB verstoßen, machen das Melden einfacher. Gleichzeitig können Inhalte nicht mehr willkürlich gelöscht oder Accounts gesperrt werden. Verbraucher*innen stehen jetzt Beschwerde- und Streitschlichtungsverfahren zur Verfügung.

Außerdem ist Schluss mit irreführenden Benutzer*innen-Oberflächen. Verbraucher*innen werden zum Beispiel keine Prime-Mitgliedschaft mehr untergemogelt bekommen, weil Online-Dienste eine echte und faire Wahl garantieren müssen. Bisher konnten sie mit ihren Schaltflächen tricksen, indem sie zum Beispiel bestimmte Einstellungen verstecken oder einen Button besonders prominent darstellen – und so unfreiwillige Kaufabschlüsse provozieren oder uns dazu überlisten, unsere privaten Daten preiszugeben. Alle Spielarten von solchen „Dark Patterns“ werden künftig nicht mehr erlaubt sein und das Netz wieder zu einem vertrauenswürdigeren Ort machen.

 

Was bewirkt das Gesetz gegen die Verbreitung von Hass und Hetze?

Es wird den Opfern von Hass und Hetze europaweit helfen, gegen illegale Inhalte vorzugehen, wenn sie bedroht werden. Dafür gibt es künftig einheitliche Meldeverfahren, europaweit standardisiert. Bislang konnte man auf den meisten Plattformen lediglich Verstöße gegen die AGBs melden – nun müssen Dienste ein standardisiertes Verfahren einführen. Künftig wird es zudem Beschwerdewege für fälschliche Löschungen und außergerichtliche Schlichtungsverfahren geben.

 

Was ist die Lösung, um Missbrauch von illegalen Aufnahmen auf Porno-Websiten zu beenden?

Der Ausschuss hat unserem Vorschlag zur Bekämpfung von bildbasierter sexueller Gewalt im Internet zugestimmt. Künftig muss bei jedem Upload eine Email-Adresse und Telefonnummer angegeben werden. Inhalte müssen von qualifizierten Menschen professionell moderiert werden und Opfer haben das Recht, sich anonym bei der Plattform zu identifizieren, um eigene Bilder herunternehmen zu lassen. Es ist in unser aller Interesse, künftig wirksam gegen digitale sexuelle Gewalt vorzugehen. Wir ergreifen damit wirksame Mittel gegen Racheaktionen von Ex-Partnern, die Nacktbilder veröffentlichen (zum Teil mit Namen und Adresse der Betroffenen) und gegen heimlich gemachte Aufnahmen z.B. auf Festivals, die Frauen ihre Freiheit nehmen.

 

Was waren die größten Knackpunkte?

Ich habe das Geschäftsmodell als Ursache für unser Demokratie-Problem angeprangert, aber es gab zu wenig Bereitschaft in anderen Fraktionen, sich grundlegend mit den Mechanismen des Online-Werbegeschäfts auseinanderzusetzen. Dennoch ist die Aufmerksamkeit für das Thema gewachsen. NGOs haben eine große Kampagne organisiert, die EU-Kommission eine neue Studie ausgeschrieben: Je mehr Menschen eine kritische Haltung dazu gewinnen, dass all ihre Kommunikation, ihre Gedanken und Gefühle ausgespäht werden, um ihnen passgenau Werbung und Inhalte zu zeigen, desto lauter der Aufschrei. Dann werden wir irgendwann nicht mehr nur das Tracking von Minderjährigen verbieten, sondern jegliches Tracking.

 

Welche Rolle spielen Geschäftsgeheimnisse?

Die Konservativen und die Liberalen haben an verschiedenen Stellen im Gesetz versucht, Ausnahmen für „Geschäftsgeheimnisse“ einzubauen. Damit hätten sie den DSA durchlöchert wie einen Schweizer Käse und hätten so für große Tech-Unternehmen Gelegenheiten geschaffen, die klaren Verpflichtungen des DSA einfach zu umgehen. Hier konnten wir Grüne uns an vielen Stellen zum Glück durchsetzen: Plattformen müssen nun Transparenzberichte vollständig schreiben und Forscher*innen den Zugang zu Daten ohne weitere Ausrede erlauben. Dieses Ergebnis müssen wir im Trilog – also bei der finalen Abstimmung mit dem Europäischen Rat – mit Zähnen und Klauen verteidigen.

 

Wie geht’s weiter?

Ich werde auch im Januar zur Plenarabstimmung noch Änderungsanträge einbringen, zum Beispiel zum Thema Microtargeting für Werbezwecke, stärkere Regeln für Empfehlungssysteme und eine Verpflichtung zur Einschätzung der Umweltrisiken durch die großen Online-Dienste. Danach geht das Gesetz in den Trilog, der im Sommer abgeschlossen werden soll.  Ich kämpfe auch im kommenden Jahr für die Abschaffung der Profilbildung für Online-Werbung. Der Teilerfolg, den wir mit dem DSA für Minderjährige errungen haben, ist schön, aber er löst das Problem insgesamt nicht.

 

Bei den anstehenden Verhandlungen über ein EU-Gesetz zu politischer Werbung werde ich mich dafür einsetzen, dass wir uns auch bei politischer Werbung von Tracking, Profilbildung und Manipulation verabschieden.

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