19. Oktober 2020

Der DSA: Teil #03 Ad Tech – Wie digitale Werbetechnologien dem Netz, der freien Presse und unserer Demokratie schaden

Dieser Artikel ist der dritte Teil einer Reihe zu dem Gesetz, mit dem die Europäische Union neue Regeln für das Internet festlegen will, dem “Digital Services Act” (DSA).

 

Jedes Mal, wenn wir eine Website besuchen und eine Werbeanzeige sehen, die auf unsere Interessen zugeschnitten ist, werden im Hintergrund unsere Daten eingesammelt und verkauft. Wie lange haben wir uns ein Bild angesehen? Wohin haben wir den Mauszeiger bewegt? Was haben wir davor oder als nächstes und als übernächstes angeklickt? Alle Informationen landen in Echtzeit mit Standorten, Verhaltensmustern oder Hinweisen auf unsere sexuelle Orientierung bei Tausenden von Unternehmen, die damit ihr Werbegeschäft betreiben – um uns unbemerkt zu kategorisieren und zu manipulieren.

 

Der Fachbegriff für dieses Geschäft heißt „Ad Tech“, Advertising Technology. Dahinter verbergen sich umfangreiche Systeme, die Werbung auf Einzelpersonen und bestimmte Zielgruppen zuschneiden. Die Unternehmen dieser Branche gehören zu den die reichsten der Welt. 2019 verdiente Facebook mit Werbung fast 69 Milliarden Dollar. Das entspricht 98 Prozent der gesamten weltweiten Einnahmen von Facebook. Bei Google machte der Werbemarkt mit fast 134 Milliarden Dollar gut 70 Prozent des gesamten Geschäfts aus.

 

Warum ist diese Form von Werbung so erfolgreich? Weil sie Werbekunden verspricht, ihre Werbung genau den Menschen zeigen, die dafür besonders anfällig sind. Damit nehmen sie europäischen Medien, die traditionell auf kontextbezogene Werbung setzen – also beispielsweise Autowerbung in einer Automobilzeitschrift, die Einnahmen. Mittlerweile sind auch Qualitätsmedien gezwungen, im digitalen Raum auf verhaltensbasierte Werbung zu setzen und die eigenen Erlöse dort mit den Internetgiganten und einer Reihe intransparenter Daten-Unternehmen zu teilen.

 

Mit diesem Geschäftsmodell tragen Google, Facebook und Co. zur Polarisierung der Gesellschaft bei und untergraben die Autorität von Qualitätsmedien. Das hat zwei Gründe:

 

  • Die Algorithmen der Plattformen spülen aufmerksamkeitsstarke Inhalte nach oben, weil sie wissen, dass sie Nutzer*innen mit Desinformation, Hass und Verschwörungstheorien länger halten können. Desinformation verbreitet sich daher deutlich schneller im Netz als gut recherchierte Hintergrundartikel.
  • Da viele Menschen täglich immer mehr Zeit auf den großen Online-Plattformen verbringen, konzentriert sich der Werbemarkt immer stärker dort. Das Geld fehlt den Qualitätsmedien, die ihre Leser*innen nicht ausspionieren oder manipulieren wollen.

 

Die Forderungen nach einem Verbot dieser Werbepraktiken sind daher in den letzten Jahren immer lauter geworden. Mit dem Digital Services Act haben wir die Chance, mit harten Regeln für den Ad Tech-Markt unsere Demokratie in Europa zu stärken.

Mein Internet der Zukunft:

  • Wir müssen zwischen zwei Arten von Werbung unterscheiden: der kontextbezogenen und der verhaltensbasierten. Letztere sollten wir stark beschränken, weil sie Nutzer*innenverhalten analysiert, verkauft und unbemerkt zu einer voranschleichenden Veränderung des Verhaltens von Menschen und ihrer Wahrnehmung führt.
  • Auf strenge Beschränkungen für verhaltensorientierte Werbung und Micro-Targeting folgt nach der Anlaufphase ein Verbot, weil die Praktiken auf einer umfassenden Sammlung und Verfolgung von Benutzer*innendaten und -aktivitäten beruhen. Wir alle erteilen zwar mehrmals am Tag Cookies und Trackern unsere Erlaubnis, sehen aber nicht, an wen unsere Daten weitergegeben werden. Das verstößt gegen den Datenschutz. Diese Praktiken dürfen nicht mehr Standard sein. Privatsphäre sollte vielmehr von Anfang an maximal über die Einstellungen der Internet-Browser und unserer Mobiltelefone und anderer Geräte geschützt sein.
  • Die Lücken in der Datenschutzgrundverordnung (GDPR) müssen geschlossen werden, damit die großen multinationalen Unternehmen nicht mehr systematisch gegen EU-Recht  verstoßen können (wie auch die Datenethikkomission anmerkt, pdf). Nationale Datenschutzbehörden benötigen mehr Ressourcen, um die Rechte der Nutzer*innen durchsetzen zu können und um mehr Aufklärungsarbeit leisten zu können. Außerdem sollte die EU Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland eröffnen: Viele große Tech-Unternehmen haben dort ihre EU-Niederlassung und die zuständige irische Datenschutzbehörde hat kein einziges Verfahren gegen Unternehmen seit Inkrafttreten der GDPR abgeschlossen.
  • Online-Plattformen, insbesondere systemische Betreiber, werden in Zukunft verpflichtet, ein öffentliches Werbearchiv zu unterhalten – für alle Arten von Anzeigen, nicht nur für politische Werbung.
  • In den bevorstehenden Regeln für Künstlichen Intelligenz sollte die EU-Kommission Micro-Targeting und verhaltensbasierte Werbung in die höchste Risikokategorie einordnen und damit den strengsten Regeln unterwerfen.

Mehr erfahren:

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Wenn Sie regelmäßig über meine Arbeit im Europäischen Parlament informiert werden wollen,
können Sie sich hier in meinen Newsletter eintragen: