23. September 2021

Die Facebook-Files enthüllen, wo das digitale Grundgesetz für die Plattformen ansetzen muss

Die Leaks einer Facebook-Insiderin im Wall Street Journal in den so genannten „Facebook-Files“ erreichen uns genau jetzt, zum richtigen Zeitpunkt, während wir den „Digital Services Act“ (DSA) als neues Grundgesetz für die Plattformen in Europa aushandeln. Die Erkenntnisse aus den internen Dokumenten des Unternehmens können dazu beitragen, bessere Entscheidungen zu treffen, weil sie offenbaren, was wir bisher nur vermuten konnten: Wie viel Facebook über die Gefahren auf der Plattform weiß, sie aber nicht behebt – und wie das Geschäftsmodell unsere Demokratie beschädigt.

 

Ich habe am Mittwoch, 22. September 2021, Kontakt zur Whistleblowerin aufgenommen, habe mich eine Stunde mit ihr beraten und über das Geschäft und die Aktivitäten von Facebook ausgetauscht. So lautet mein Fazit:

 

Es reicht nicht aus zu fordern, dass Online-Plattformen selbst Verantwortung übernehmen und „sich selbst“ regulieren. Unternehmen wie Facebook arbeiten profitorientiert, sie werden ihr Geschäft und ihr Image immer über Gemeinwohlinteressen stellen. Es ist Aufgabe der Politik, die Demokratie zu schützen. Wir als gewählte Politiker*innen tragen die Verantwortung für den demokratischen Diskurs und müssen unsere Verantwortung dafür im Gesetzgebungsprozess wahrnehmen.

 

Es darf kein Geschäftsmodell mehr geben, das polarisierende Inhalte bevorzugt.  Die Facebook-Files enthüllen, dass Algorithmen bislang so eingestellt sind, dass sie extrem meinungsstarken Posts viel Reichweite bescheren: In einem internen Punktesystem werden negative Kommentare fünf Mal höher bewertet als positive. Auch Posts mit langen Kommentaren bekommen mehr Punkte. Erfahrungsgemäß handelt es sich dabei meist um Kommentator*innen, die dagegen sind. Das führt in der Summe zu einer viel stärkeren Verbreitung von faktisch falschen, spaltenden oder gewaltsamen Inhalten. Die langfristigen Konsequenzen sind weitreichend, sie haben auch auf die Presselandschaft und Demokratie insgesamt gravierende Auswirkungen. Deshalb müssen wir den Hebel an der Wurzel ansetzen: beim Geschäftsmodell des Internets mit Werbung. Die derzeitige Praxis des Microtargetings, bei dem persönliche Profile mit tausenden privaten Informationen erstellt werden, um Werbung passgenau auf die Nutzer*innen zuzuschneiden, ist nicht länger mit unseren demokratischen Prinzipien vereinbar. Das System wird ausgenutzt, um Desinformation und Hass zu verbreiten und Menschen passgenau damit zu versorgen. Jetzt ist der Zeitpunkt da, um in einer breiten Allianz auf ein neues Geschäftsmodell zu setzen – zum Schutz unserer Demokratie.

 

Die Moderation von Inhalten muss für alle Menschen gleichberechtigt erfolgen. Die Facebook-Files belegen, dass es derzeit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt. Hochrangige Nutzer*innen wie Promis, Influencer*innen und Politiker*innen stehen auf einer Whitelist und dürfen fast alles sagen – andere nicht. Gerade von den „mächtigen“ Profilen aber gehen viel Hass, Hetze und negative Kampagnen aus. Am Beispiel Donald Trump wird sichtbar, wie viel Schaden die derzeitige Ungleichbehandlung anrichtet: Trump erhielt intern als hochrangiger Politiker einen größeren Spielraum für Fehlinformationen eingeräumt und verbreitete genau die Art von scharfzüngigen Nachrichten, die von den Algorithmen bevorzugt werden. Auf diese Weise verhalf Facebook ihm zu enormen Reichweiten. Durch die Facebook-Files können wir nun Schwarz auf Weiß belegen, dass Facebook Nutzer*innen wissentlich illegalen und schädlichen Inhalten aussetzt, vor denen es die Menschen auch schützen könnte – wenn das soziale Netzwerk denn wollte. Deshalb sind wir als Gesetzgeber in Europa gefragt. Es darf keine Willkür mehr geben. Es müssen gleiche Standards für alle gelten und wir brauchen Regeln, die konsequent umgesetzt werden und überprüfbar sind.

 

Die Dimension der Enthüllungen sind für die anstehenden Verhandlungen zum „Digital Services Act“ ähnlich relevant wie einst der „Snowden-Moment“ für die Datenschutzgrundverordnung. Damals änderte sich die öffentliche Meinung, als die Gesellschaft erfuhr, wie umfassend Europäer*innen von der amerikanischen Regierung überwacht werden. In ähnlicher Weise müssen wir jetzt in der breiten Öffentlichkeit die Mechanismen der großen Online-Plattformen diskutieren und in eine Richtung verändern, so dass wir geschützte freie Räume für den digitalen Meinungsaustausch zurückgewinnen.

Hier die Wall Street Journal-Berichte über die Facebook Files:

  1. Facebook Says Its Rules Apply to All. Company Documents Reveal a Secret Elite That’s Exempt: https://www.wsj.com/articles/facebook-files-xcheck-zuckerberg-elite-rules-11631541353?mod=article_inline
  2. Facebook Knows Instagram Is Toxic for Teen Girls, Company Documents Show https://www.wsj.com/articles/facebook-knows-instagram-is-toxic-for-teen-girls-company-documents-show-11631620739?mod=article_inline
  3. Facebook Tried to Make Its Platform a Healthier Place. It Got Angrier Instead: https://www.wsj.com/articles/facebook-algorithm-change-zuckerberg-11631654215?mod=article_inline
  4. Facebook Employees Flag Drug Cartels and Human Traffickers. The Company’s Response Is Weak, Documents Show: https://www.wsj.com/articles/facebook-drug-cartels-human-traffickers-response-is-weak-documents-11631812953?mod=article_inline
  5. How Facebook Hobbled Mark Zuckerberg’s Bid to Get America Vaccinated https://www.wsj.com/articles/facebook-mark-zuckerberg-vaccinated-11631880296?mod=article_inline
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