DSA: Warum ein starkes Digitalgesetz durch den Krieg in der Ukraine noch wichtiger geworden ist
Nach Putins Angriff auf die Ukraine und gezielter russischer Propaganda weltweit hat die Europäische Union zu einem radikalen Mittel gegriffen: Sie hat – trotz Medienvielfalt und Meinungsfreiheit – die russischen Staatssender RT und Sputnik in Europa verboten. Obendrein belegt gerade die „Civil Liberties Union For Europe“ in ihrem ersten Jahresbericht „Media Freedom Report“, dass die Medienfreiheit grundsätzlich in Europa abnimmt. Beide Vorgänge sind alarmierend. Das Verbot war eine Notbremse, weil die Mechanismen großer digitaler Plattformen ohne gesetzliche Regelung nicht mehr beherrschbar sind. Können wir tolerieren, dass Plattformen wie Youtube oder Facebook anhand von kriegstreibenden Posts und Videos mit Werbung Geld verdienen? Nein. Aber auch Netzsperren sind extrem problematisch. Deshalb ist der „Digital Services Act“, der das Geschäftsmodell der Plattformen selbst adressiert, zur Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie so wichtig.
Warum das so ist, belegten diese Zahlen: RT war auf YouTube im Jahr 2020 der am meisten geschaute Kanal. Warum nur? RT ist auch die erste Quelle, die in Covid-Querdenker-Kreisen zitiert wird – das geht soweit, dass diese Szene zu Teilen Putins Krieg unterstützt. Warum ist Putins Staatssender so erfolgreich in sozialen Netzwerken? Weil er Menschen mit spektakulären – und häufig falschen – Nachrichten in den Bann zieht. Die Beiträge lösen Angst und Wut aus. Dadurch bleiben die Zuschauer*innen länger auf den Plattformen und reagieren häufiger. Das Ergebnis ist, dass der Algorithmus der Plattform sie immer weiter nach oben spült. Denn lange Verweildauern und viel Interaktion bedeuten mehr Werbeeinnahmen. Drastisch gesagt: Die Plattformen verdienen mit der Spaltung unserer Gesellschaft Geld. Deshalb packen wir das Problem mit dem DSA an der Wurzel: Endlich wird es Einblick in die Algorithmen und eine Begrenzung der Sammlung sensibler Daten geben.
Der DSA wird das Grundgesetz für die digitalen Plattformen und bringt Licht in das dunkle Geschäft: Wie funktionieren diese Algorithmen? Plattformen müssen künftig darlegen, welche negativen Auswertungen ihre Algorithmen auf den Diskurs haben. Diese Bewertungen gehen an Behörden und Plattform-Daten müssen für Forschungszwecke zugänglich für Wissenschaftler*innen und Zivilgesellschaft werden. Damit schaffen wir weltweit erstmals die Grundlage, die Mechanismen einzusehen, zu untersuchen und durch Auflagen für die Plattformen demokratiekompatibel zu gestalten, ohne einzelne Inhalte zu zensieren.
Punkt zwei und mein wichtigstes Anliegen: Sensible persönliche Daten dürfen nicht mehr zusammengeführt und für das Ausspielen von Werbung und Inhalten benutzt werden. Die detaillierten Datenprofile, die derzeit über jede Person erstellt werden, helfen Desinformation zu verbreiten. Wer Menschen manipulieren will, kann Botschaften maßgeschneidert an dafür anfällige Personengruppen ausspielen. Dadurch verbreitet sich Desinformation immer erstmal in dafür offenen Kreisen, und wird dann über Accounts mit vielen Followern in die breitere Öffentlichkeit getragen. Dadurch entsteht vor jeder journalistischen Prüfung des Wahrheitsgrades einer Nachricht eine enorme Reichweite. Auf den Punkt gebracht: Bevor es in der Zeitung steht, glauben schon zehn Millionen Menschen daran. Solche Falschnachrichten sind schwer wieder auszuräumen.
Mein Ziel ist, das Targeting komplett abzuschaffen. Auf dem Weg dorthin habe ich im DSA viel erreicht. Wir werden im Trilog wahrscheinlich durchsetzen, dass sensible Daten wie Religion, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung nicht mehr zu Werbezwecken erhoben werden dürfen. Auch die Daten von Kindern und Jugendlichen dürfen nicht mehr zu diesen Zwecken abgegriffen und zusammengeführt werden. Das ist für mich gemeinsam mit einem Stopp für Algorithmen, die angst- und wutlastige Beiträge nach oben spülen, der demokratischste Weg, um Desinformation auszubremsen. Und dann wird das Verbot von RT und Sputnik in der Rückschau ein Notfall bleiben und keinen Präzedenz-Fall schaffen.