17. April 2020

Bericht über die Not von Obdachlosen in der Krise

Wer auf der Straße lebt, kann nicht nach Hause gehen. Deshalb war mit Beginn der Coronakrise klar, dass sie die Obdachlosen besonders hart treffen wird. Sie können nicht #ZuhauseBleiben. Sie können auch nur schwer die Hygieneregeln einhalten, wenn sie für jedes Händewaschen zu einer öffentlichen Toilette laufen müssen. Und wer drückt ihnen in Corona-Zeiten gerne Geld in die Hand? Wie werden sie dieses Jahr überhaupt über die Runden kommen?

 

Das bewegt mich sehr, weil ich viele Obdachlose in Düsseldorf kenne, ihnen ehrenamtlich helfe und ein Buch [www.draussensein-duesseldorf.de] über ihre Lebensgeschichten geschrieben habe. Wir sind dadurch so etwas wie Freunde geworden. Und diese Freunde fühlen sich gerade von (fast) allen guten Geistern verlassen. Sie können sich mit ihrer Clique auf der Straße nicht mehr treffen, sie bekommen weniger Spenden, weil weniger Menschen auf der Straße sind und die Wenigen einen noch größeren Bogen um sie machen. Sie finden weniger Pfandflaschen, sie verkaufen weniger Obdachlosenzeitungen. In der Krise ist das Wenige noch weniger geworden.

 

Die gute Nachricht: Einige Städte wie Düsseldorf haben gut reagiert, indem sie schnell eine Ersatzversorgung organisiert haben. Als die Tafeln ganz zu Anfang schon dicht machten, weil sie von älteren Ehrenamtlichen betrieben werden, und mehrere Tagesstätten ihr Angebot deutlich reduzieren mussten, hat die Stadt Caterer beauftragt. Zurzeit werden jeden Tag 700 Verpflegungspakete gepackt, die von Streetworkern verteilt werden. Notschlafstellen, die sonst nur im Winter geöffnet sind, wurden wieder in Betrieb genommen und inzwischen auch drei Hotels angemietet. Das Ziel ist, nicht mehr als zwei Personen in einem Zimmer unterzubringen. Bei den Frauen funktioniert das schon, für die Männer fehlen noch 40 Plätze. Zum Glück scheint es in Düsseldorf bisher keine corona-infizierten Obdachlosen zu geben, während in Hamburg schon vor einem Monat eine ganze Unterkunft unter Quarantäne gestellt werden musste. Die Vereinzelung durch zusätzliche Zimmer und Zelte scheint hier zu funktionieren.

 

Das ist wichtig, weil Obdachlose durch das Leben auf der Straße ein schwächeres Immunsystem haben. Viele haben auch eine Vorerkrankung wie Sandra. Die 52-Jährige hat die Hälfte ihres Lebens auf der Straße verbracht und starkes Asthma. Sie lebt von Hartz IV und dem Verkauf der Obdachlosenzeitung „fiftyfifty“. In den vergangenen Wochen hat sie viel Hilfsbereitschaft erlebt, aber auch Leute, die ihr vor dem Supermarkt zugerufen haben: „Wegen euch Gesocks haben wir diesen Ärger.“ Andere legten ihr das Geld in zwei Meter Entfernung auf den Gehweg. Daraufhin hat sie sich wieder einen „Bettelbecher“ zugelegt, der eigentlich unter den Zeitungsverkäufer*innen verpönt ist. Es geht dabei um Haltung. Die Zeitung zu verkaufen ist ein Job, kein Alibi zum Betteln. Durch Corona hält der Becher notgedrungen wieder Einzug.

 

Immerhin wird das Straßenmagazin in Düsseldorf noch regulär verkauft. Fast alle anderen Städte haben den Verkauf durch Obdachlose eingestellt. „Hinz&Kunzt“ ist im April erstmals nur online erschienen, das Magazin „Bodo“ gibt es auch nur noch digital oder auf Bestellung per Post. „fiftyfifty“ in Düsseldorf druckt weiter für die Straße. Das Heft kostet nur noch die Hälfte und die gesamten Einnahmen gehen an die Verkäufer*innen. Umso mehr sind auch die Hilfseinrichtungen jetzt auf Spenden angewiesen. Sie und alle Sozialarbeiter*innen machen gerade einen bemerkenswerten Job.

 

Stefanie Kaufmann

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