Mehr Frauenhausplätze, Hilfsangebote und Schutz vor Cybergewalt
Der Haushaltsausschuss des Europaparlaments hat heute meiner Stellungnahme zur neuen Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zugestimmt. Das ist eine gute Nachricht für die vielen Menschen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Es darf künftig nicht mehr von Glück oder dem Wohnort einer Frau abhängen, ob sie Zuflucht im Frauenhaus findet. Alle Betroffenen sollen unbürokratisch und schnell Schutz finden. Mit dem Beschluss haben wir die wichtigste Hürde genommen, um die Hilfsangebote in der EU auszuweiten.
Bisher scheiterte wirksamer Gewaltschutz auch in reichen Ländern wie Deutschland am Geld. Frauenhausplätze in Wohnortnähe sind Mangelware, wie man auf dieser Karte sehen kann. Oft kehren Frauen zu gewalttätigen Partnern zurück, damit Kinder nicht die Schule wechseln müssen. Damit ist jetzt Schluss: Der Ausschuss fordert die Umsetzung der bisher nicht verpflichtenden Zahlenschlüssel aus der Istanbul-Konvention. Damit wären zukünftig alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, einen Familien-Platz im Frauenhaus je 10.000 Einwohner bereitzustellen.
Das bedeutet beispielsweise für Nordrhein-Westfalen mit seinen derzeit 658 geförderten Schutzplätzen bei rund 18 Millionen Einwohner*innen eine Verdreifachung der Frauenhausplätze. Das gilt ebenso für ganz Deutschland: In Deutschland gibt es derzeit zwischen 6.400-6.800 Plätze für Frauen und Kinder (Quelle: Frauenhauskoordinierung e.V.). Bei 83 Millionen Bundesbürger*innen würden künftig 8.300 Familienplätze finanziert. Jeder Familienplatz wird im Schnitt mit 2,5 Betten berechnet (für Frauen und ihre Kinder). Somit würden rund 21.000 Betten finanziert. Auch das entspräche einer Verdreifachung der heutigen Ausstattung.
Seit der Corona-Pandemie hat häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder weiter zugenommen. In Deutschland gelten seit 2018 die Regeln der sogenannten Istanbul-Konvention des Europarates, die zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt verpflichtet. Seitdem hat Deutschland vor allem im Strafrecht wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen, aber noch deutliche Defizite beim Ausbau der Hilfsangebote und zwischen den Bundesländern gibt es gravierende Unterschiede.
Der Bericht des unabhängigen Expertengremiums GREVIO von Oktober 2022 hebt beispielsweise hervor, dass es in Berlin mit seinen 3,7 Millionen Einwohner*innen nur eine Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer mit weniger als neun Mitarbeitenden und einer durchschnittlichen Wartezeit von zwei Monaten für eine Erstberatung gebe.
Bundesweit fehlen rund 14.600 Frauenhausplätze. Der Beschluss im Haushaltsausschuss legt nun den Grundstein dafür, dass die Ziele der Istanbul-Konvention umgesetzt werden. Alle Leistungen sollen mindestens den Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention und seinem erläuternden Bericht entsprechen, einschließlich den Standards für Unterkünfte, Betreuungsstellen für Opfer sowie Notrufstellen.
Für diese und andere Maßnahmen sollen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Die Programme des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens müssen ausreichende Ressourcen und Personal umfassen. Die neue Richtlinie ist nicht nur aus menschlicher und rechtlicher Sicht geboten, sondern auch deshalb relevant für den Haushalt, weil Gewalt gegen Frauen einen hohen Preis fordert: Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen schätzte die Kosten für entgangene Wirtschaftsleistung, für Gesundheitsleistungen, Straf- und Ziviljustiz, Sozialfürsorge und persönliche Kosten durch Gewalt gegen Frauen im Jahr 2019 für die gesamte EU auf 290 Milliarden Euro. Und das war noch vor der Pandemie.
Meine Forderungen aus dem Beschluss im Haushaltsausschuss im Überblick:
- Pro 10.000 Einwohner muss es mindestens einen Familienplatz in einer Schutzunterkunft/ einem Frauenhaus geben.
- Es muss mindestens eine Betreuungsstelle für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt je 200.000 Einwohner geben.
- Landesweit werden kostenfreie Notrufstellen in hinreichender Kapazität vorgehalten.
- Opfer von Gewalt im Internet sollen mit passgenauer Hilfe und Rechtsberatung besser unterstützt werden.
- Um Angebot und Nachfrage besser steuern zu können, soll die Berichterstattung verbessert werden, unter anderem durch Informationsaustausch mit dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen und einer erhöhten Datenabfrage.
- Jeweils im Abstand von zwei Jahren muss dem Parlament ein Bericht zum Stand der Durchführung der Richtlinie vorgelegt werden.
Wie geht es weiter?
Die neue Richtlinie wird vom Rechts- und vom Frauen-Ausschuss federführend bearbeitet. Meine Stellungnahme klärt in diesem Gesetzgebungsprozess die finanziellen Ressourcen, die am Ende bereitgestellt werden sollen. Nach dem Beschluss im Haushaltsausschuss vom 2. März 2023 verhandeln der Frauen- und Rechtsausschuss. Der Beschluss und meine Stellungnahme sollen voraussichtlich im Dezember im Plenum abgestimmt werden.