10. Februar 2021

Ein Zukunftsinstrument, das mit den Frauen rechnen muss

Europa zeigt in diesen Tagen, wie stark es ist, wenn es solidarisch zusammenhält und voranschreitet. Das Europaparlament hat am späten Dienstagabend (9. Februar 2021) die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) beschlossen, die das Herzstück des großen „NextGenerationEU“-Plans ist. Wir fördern damit nachhaltiges Wachstum in Europa mit insgesamt 673 Milliarden Euro, die als Zuschüsse und Darlehen für die Mitgliedstaaten gewährt werden. Der ARF ist ein geniales Instrument für grüne Ziele: 37 Prozent des Volumens sind für grüne Investitionen veranschlagt und 20 Prozent für digitale Vorhaben!

Konkret hat sich die Europäische Union verpflichtet, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 55 Prozent gesenkt werden. Mit dem Corona-Aufbaufonds zeigt die EU, dass sie es ernst meint. Sie hat künftigen Investitionen in den Klimaschutz den Vorrang eingeräumt. Das ist absolut notwendig und richtig. Das Gesamtpaket „NextGenerationEU“ wird zusammen mit dem langfristigen EU-Haushalt das größte Konjunkturpaket sein, das es in Europa je gab. Insgesamt werden 1,8 Billionen Euro in den Wiederaufbau nach der Coronakrise fließen und sie werden das neue Europa gestalten: grüner und digitaler.

Leider wurde bei der Grundarchitektur des Pakets vergessen, dass die Hälfte der Bevölkerung, die gerade bei geschlossenen Kitas und Schulen den Großteil der unbezahlten Arbeit leistet und unsere Gesellschaft in dieser schweren Krise zusammenhält, aus dem bezahlten Arbeitsmarkt verdrängt wird: die Frauen. Das habe ich in meiner Rede im Plenum kritisiert.

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In Italien, dem größten Empfängerland des Konjunkturpakets, sind 70 Prozent der Menschen, die in der Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben, Frauen. In anderen Ländern ist die Situation ähnlich. Das Konjunkturpaket investiert aber mehrheitlich in Branchen, in denen fast nur Männer arbeiten. Das ist absurd. Es ist gut, dass die Kommission jetzt mit den Leitlinien für die nationalen Pläne nachgesteuert und Geschlechtergerechtigkeit in allen Prioritäten verankert hat. Denn eine erfolgreiche Wirtschaft und starken sozialen Zusammenhalt wird es nur mit den Frauen geben.

Dafür habe ich mich mit diesen Maßnahmen eingesetzt:

  1. Nachdem die Europäische Kommission den Entwurf des Konjunkturprogramms veröffentlichte und Frauen darin nicht erwähnt wurden, habe ich im Mai 2020 die Kampagne #HalfOfIt gestartet. Sie fordert die Hälfte der Mittel für Frauen und hat Widerhall in ganz Europa und bei Abgeordneten aller demokratischen Parteien gefunden.
  2. Im Auftrag der Fraktion Greens/EFA habe ich einen Gleichstellungs-Check des europäischen Aufbauprogramms “Next Generation EU“ in Auftrag gegeben, um zu prüfen, welche Auswirkungen das Paket jeweils auf Frauen und Männer hat. Die Ergebnisse wurden im Juli 2020 veröffentlicht. Darin kommen die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Dr. Elisabeth Klatzer und Dr. Azzura Rinaldi zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag der Kommission geschlechterblind ist. Sie empfehlen, neben dem Fokus auf die grüne und digitale Transformation auch Investitionen in bezahlte Care-Arbeit stärker in den Fokus zu rücken.
  3. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise wurde der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU noch einmal neu verhandelt – mit dem Ergebnis, dass auf meinen Druck und der beharrlichen Arbeit der Grünen Fraktion Gender Budgeting und Gleichstellungs-Checks jetzt endlich dort verankert sind. Das wird langfristig große Auswirkungen auf die Verteilung von Fördermitteln in Europa haben.
  4. Ich habe Berichte und Änderungsanträge für vier Verordnungen der Next Generation EU verfasst, um unsere Lösungen einzubeziehen. Sie wurden von der Greens/EFA-Fraktion und einem Netzwerk von MdEP aus allen demokratischen Parteien unterstützt. Dazu gehörten das Technical Support Instrument, für das ich Ko-Berichterstatterin im Haushaltsausschuss war, die Recovery and Resilience Facility, Invest EU und der Just Transition Mechanism.
  5. Zuletzt habe ich ein Treffen mit der zuständigen Abteilung der Europäischen Kommission und mehreren europäischen Expert*innen organisiert. Während dieses Treffens und in einem darauffolgenden Input-Papier haben wir die Auswirkungen, die eine fehlende Gleichstellung der Geschlechter auf die europäische Wirtschaft hat, hervorgehoben und mit Zahlen untermauert. Nur wenige Tage später veröffentlichte die Europäische Kommission ihre aktualisierten Leitlinien für die Mitgliedstaaten des Konjunktur- und Resilienzplans.

Dieses Dokument zeigt den Erfolg der Vorschläge, die nun in die Leitlinien aufgenommen werden:

  • Geschlechtergleichstellung und Chancengleichheit als allgemeines Ziel
  • die Mitgliedsstaaten müssen ihre Bemühungen bei der Gleichstellung der Geschlechter darlegen und zeigen, wie ihre Wiederaufbaupläne die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise auf Frauen, einschließlich geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, abmildern
  • der Leitfaden fordert gleiche Bezahlung und gleiche Chancen
  • die Mitgliedsstaaten sollen nachweisen, dass ihr Plan die Integration von Geschlechtergleichstellung und Chancengleichheit für alle fördert, auch im Rahmen des grünen Übergangs und der digitalen Transformation
  • die Mitgliedsstaaten sollen geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte Daten vorlegen, die für die Bewertung der Ergebnisse entscheidend sind

Die Gleichstellung der Geschlechter und die Chancengleichheit, die schon immer in den Europäischen Veträgen und Grundrechten verankert waren, kommen jetzt endlich auch in den Entscheidungen über Finanzen und Fördermittel zum Tragen. Das wird die finanzielle Situation und die Teilhabe von Frauen in der EU langfristig verbessern und ist ein wichtiger Impuls für geschlechergerechte Haushalte in Kommunen, Bundesländern und auf Mitgliedsstaatenebene.

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