So reagiert das Silicon Valley auf die europäischen Digitalgesetze
Mit dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) im Europäischen Parlament habe ich im Mai 2022 die mächtigsten Tech-Unternehmen der Welt besucht, um darüber zu sprechen, was die neuen Digitalgesetze konkret in der Umsetzung für sie bedeuten. Alle haben sich sehr intensiv damit auseinandergesetzt – aber unterschiedlich reagiert. Einige empfinden die neuen Vorschriften als Überregulierung, andere nennen sie wegweisend. In jedem Fall haben die Gespräche bestätigt, dass Europa mit seiner Digitalgesetzgebung weltweit Vorreiter ist und auch im Silicon Valley, in der Wiege der Tech-Industrie, als globaler Standard-Setter wahrgenommen wird.
Hier habe ich beim Meta-Konzern in Kalifornien, der die großen Apps wie Facebook, Instagram und WhatsApp betreibt, nachgefragt, ob ein Dokument authentisch ist, das von Facebook selbst zu stammen scheint und in dem der Konzern darlegt, dass er nicht in der Lage sei, europäische Gesetze wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) oder das neue Grundgesetz für das Internet, den „Digital Services Act“ (DSA), einzuhalten. Die Antwort war unbefriedigend: Das Dokument sei geleakt und es sei keine perfekte Darstellung. Das heißt im Klartext, dass ein Unternehmen, das die digitale Kommunikation von Millionen Europäer*innen lenkt und massiv die öffentliche Meinung beeinflusst, nicht in der Lage zu sein scheint, Gesetze einzuhalten und das auch noch unkommentiert so stehen lässt.
Deshalb steht und fällt der Erfolg des DSA mit der Durchsetzung. Schon mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat Europa einen globalen Maßstab gesetzt, aber den Giganten wie Google und Facebook ist es gelungen, die Regeln zu umgehen und sich dadurch sogar besser zu stellen als die europäische Konkurrenz. Wenn wir wirklich ernst genommen werden wollen, müssen wir jetzt in Europa für eine starke Durchsetzung sorgen – die Grundlagen dafür haben wir im Gesetz gelegt.
Ich habe die Gelegenheit auch genutzt, um dem Meta-Konzern ein Dokument vorzulegen, das mir die Mütter von Teenagern gegeben haben. Diese Kinder und Jugendlichen sind durch Inhalte von Instagram und anderen Apps gestorben oder leiden jetzt unter einer schweren Magersucht oder Depression. Für mich war es ein sehr bewegendes Treffen. Facebook hat sich geweigert, die Eltern zu treffen. Deshalb habe ich ihre Forderungen übergeben.
Die Eltern haben mich gebeten, weiter zu arbeiten und nicht locker zu lassen, Kinder und Jugendliche im Internet zu schützen. Erste Erfolge für den Jugendschutz haben wir beim DSA schon erreicht: Die Plattformen müssen Risikobewertungen machen, in denen sie die Auswirkungen ihrer Mechanismen auf Minderjährige bewerten. Zusätzlich eröffnen wir unabhängigen Wissenschaftler*innen und NGOs den Zugang zu den Daten. Das wird zu neuen Forschungsergebnissen führen, auf denen wir härtere Gesetze aufbauen können.
Eine weitere Forderung der Eltern, keine Geschäfte mit den privaten Daten von Kindern zu machen, setzen wir in Europa um, indem wir im DSA verbieten, die Daten von Kindern und Jugendlichen für Werbezwecke zu nutzen. Aber auch in Europa müssen wir noch mehr tun, um Jugendschutz im Netz sicherzustellen, ohne die Anonymität der Nutzer*innen zu gefährden.
Auch beim Google gab es wenige konkrete Antworten, dafür aber schicke Präsentationen. Die technologischen Entwicklungen des Unternehmens bei Anwendungen für Künstliche Intelligenz sind beeindruckend. Aber die Forderung des Konzerns mutet absurd an: Die sogenannte “general purpose AI”, also grundlegende Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, die auch viele europäische Unternehmen nutzen, sollten von den neuen europäischen Regeln ausgenommen werden, die für Sicherheit und die Einhaltung von Menschenrechten sorgen. Warum sollten für einen der wichtigsten Player laschere Regeln gelten als für alle anderen?
Meine kritische Frage nach der Rolle des Youtube-Algorithmus bei der Verbreitung der Desinformations-Inhalte des seit Kriegsbeginn verbotenen russischen Staatssenders RT wurde nicht beantwortet.
In der berühmten Stanford-Universität tauschten wir uns mit einer Runde hochkarätiger Digitalexperten des Zentrums für “Human-Centered Artificial Intelligence” aus. Dabei wurde deutlich, dass unabhängige Forschung – auch oder gerade – in diesem Tempel der Wissenschaft aufgrund der engen Verflechtungen mit den Digitalunternehmen gar nicht mehr möglich ist.
Das Virtual-Reality-Labor präsentierte uns erste Studien, die ergeben haben, dass der Einsatz von virtueller Realität in der Bildung nicht zu besseren Lernergebnissen führt, sondern höchstens zu höherer Emotionalität. Ob diese gerade von Meta unter dem Begriff „Metaverse“ hochgejazzte Technologie wirklich einen Mehrwert hat, ist also noch unklar. Bei Facebook blieben Fragen nach dem Geschäftsmodell und der konkreten Umsetzung des „Metaverse“ unbeantwortet. Auch bei einem Abendessen mit Gaming-Unternehmen – die Meta als Partner bezeichnete – konnte keine Klarheit über die Ausgestaltung des „Metaverse“ geschaffen werden, geschweige denn über Regeln im virtuellen Raum, die Minderjährige und Frauen vor Übergriffen schützen.
Mein Fazit: In Europa sind wir mit den europäischen Digitalgesetzen DSA und DMA auf dem richtigen Weg. Die Regeln sind in den USA angekommen, die Unternehmen sind aufgeschreckt, das Interesse der Zivilgesellschaft und der Politik ist groß. Europa ist es gelungen, als erster Kontinent einen Standard für das Internet in der demokratischen Welt zu setzen, der die Allmacht der Internet-Giganten in Frage stellt. Jetzt müssen wir mit einer starken Finanzierung für Technologie und Startups nachlegen, damit wir nicht nur gute Regeln machen, sondern auch die Technologien beherrschen und einen fairen Wettbewerb für zukunftsfähige Unternehmen ermöglichen.