US-Wahl: Mein Appell für europäischen Mut es anders zu machen
Liebe Freund*innen!
Ich will ganz ehrlich mit Euch sein: Diese E-Mail an Euch zu schreiben, fällt schwer. Heute morgen weiterzumachen und in die nächsten EU-Kommissionsanhörungen zu gehen, fällt schwer. Die besorgten Nachrichten von meinen Bekannten in den USA zu lesen, fällt unendlich schwer. Denn die Wahl von Donald Trump lässt uns alle in einer neuen Welt aufwachen.
Verkriechen, das wäre leicht. Doch die Frauen, die Minderheiten und all diejenigen in den USA, die nicht in das Weltbild von Trump, Vance und Musk passen, die können sich nicht verkriechen. Die Menschen in der Ukraine, die Trump an Putin ausliefern will, können sich nicht verkriechen. Und deswegen dürfen wir uns in Europa nicht verkriechen, sondern mutig und geschlossen in diese neue Zeit gehen.
Ich werde vom 17. bis zum 24. November in den USA sein, um dort Gespräch im Weißen Haus, mit US-amerikanischen Abgeordneten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bürgerrechtler*innen zu führen. Was können wir in Europa aus diesem Wahlkampf lernen? Wie kann Europa die Fahne der Demokratie hochhalten – auch in Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Opposition in den USA?
Klar ist: Als Präsident, mit einer Mehrheit im Senat, Supreme Court und mit einer nicht unwahrscheinlichen Mehrheit im Repräsentantenhaus, kann Trump die nächsten zwei Jahre ungehindert die USA umbauen, innen und außen. Project 2025 hat die Blaupause für diese autoritäre Revolution gemacht. Das kommt jetzt. 2025 wird nicht wie 2021 sein, wo Trump unvorbereitet war und es noch Menschen um ihn gab, die die schlimmsten Ideen gebremst haben.
Doch bei all dem, was die USA und was die Welt jetzt erwartet, so zeigt uns diese Wahl doch auch, wie er gewinnen konnte, und warum Harris es nicht getan hat. Ich will mit fünf Thesen diese Diskussion starten, die natürlich in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird.
- Es reicht nicht, dass die Wirtschaft wächst, wenn bei den Menschen nichts ankommt.
Das große wahlentscheidende Thema war die Wirtschaft: Obwohl es vor allem durch Bidens Inflation Reduction Act der US-Wirtschaft so gut wie lange nicht geht, Millionen Jobs entstehen und sich massenhaft Industrie angesiedelt hat, kommt das bei den Menschen nicht an. In Nachwahlbefragungen sagen 80% der Trump-Wähler:innen, dass es ihnen schlechter geht als vor vier Jahren. Sie spüren die nicht zuletzt durch Corona und den russischen Angriffskrieg ausgelösten Preissteigerungen weiterhin, sei es bei Lebensmitteln, bei Mieten oder beim Sprit. Die Wirtschaft brummt, aber es kommt nicht an und gleichzeitig sehen sie, wie andere immer reicher werden. Das bereitet den Nährboden für Populismus und Polarisierung. Deswegen braucht es weder in Deutschland, noch in Europa, in diesen Zeiten keine Schwarze Null, sondern eine soziale Gerechtigkeitspolitik, die alle am Reichtum teilhaben lässt.
- Das Ausspielen von Einwander:innen, Schwarzen und Lations trägt Früchte
Auf diesem Nährboden der sozialen Ungerechtigkeit gedeiht das Thema Migration und Zuwanderung. Mit seinem Satz “Immigrants are taking black jobs” hat Trump diese perfide Strategie klar beschrieben. Immer wieder hat seine Kampagne diesen Punkt nach vorne gespielt, und es so geschafft, dass bei dieser Wahl Schwarze und Latinos in den USA mehr als vorher für Trump und die Republikaner gestimmt haben. Diese Strategie nutzt die Neue Rechte überall, von der Le Pen, FPÖ, AfD, sie überzeugen postmigrantische Wähler:innen, indem sie ihnen Angst machen vor den “neuen” Zuwander:innen. Damit sind sie erfolgreich. Und je mehr die demokratischen Parteien das Narrativ “Migration ist eine Gefahr” mitgehen, desto mehr verstärken sie es.
- Angriffe auf Frauen und Ansprache an Männer funktionieren
Trumps Frauenfeindlichkeit ist fast schon legendär. Alleine, dass ein verurteilter Vergewaltiger Präsident werden kann, macht fassungslos. Vance’s “childless cat lady”, der klar macht, dass Frauen ohne Kinder für ihn wertlos sind, gehört dazu. Der Effekt? In dieser Wahl sind mehr Männer als erwartet zur Wahl gegangen und haben für Trump gestimmt. Trump, Vance und Musk haben sie immer direkt angesprochen, und es hat gewirkt. Gleichzeitig war die Unterstützung der Frauen für Kamala Harris nicht groß genug. Männer haben sich die Macht zurückgeholt. Das zeigt zwei Dinge: Erstens, demokratische Parteien müssen darüber nachdenken, wie sie in Zukunft junge Männer ansprechen. Zweitens, es ist wichtiger denn je, die Rechte von Frauen zu schützen, ohne wenn und aber.
- Elon Musk und die Digitalplattformen waren Donald Trumps bester Running Mate
Bei all diesen Punkten lässt sich einwenden: Das sind ja alles nur Gefühle, keine Fakten. Trumps will doch die Steuern für die Reichen senken, vielen Menschen geht es objektiv besser etc. Und genau das ist der Punkt. Wer noch auf Musks Twitter ist, konnte fast täglich beobachten, wie sich die Plattform verändert hat seit der Übernahme. Falschinformationen, Manipulation, Hass und digitale Gewalt vor allem gegen Frauen, sind dort an der Tagesordnung und haben in diesem US-Wahlkampf eine besonders große Rolle gespielt.
Auch die anderen Digitalplattformen haben in den letzten Jahren vor dieser Wahl ihre Moderation verändert, sie werden immer mehr zu Verstärker von Falschinformationen und Hass, Fakten haben immer weniger Reichweite. Wie gezielte Desinformation konkret im US-Wahlkampf funktioniert, habe ich hier an einem Beispiel erklärt. Desinformation, gefüttert von Russland, China und anderen autoritären Staaten. Und das wird in einer zweiten Amtszeit von Trump mit wahrscheinlich Elon Musk in seinem Kabinett immer schlimmer werden.
Gleichzeitig haben die Tech-Bros von Musk über Peter Thiel bis zu den Wagniskapitalgebern Andreessen and Horowitz Trump unterstützt, um jegliche Kontrolle über ihre Geschäfte zu verhindern. Das wollen sie jetzt auch in Europa durchsetzen. Hier müssen wir uns in Europa dagegen stellen und unsere guten Gesetze durchsetzen, um die Freiheit unserer Bürger:innen zu verteidigen.
- Europa braucht jetzt Mut und Zusammenhalt, keine Trump-Kopien
Für Europa bedeutet eine Trump-Vance-Musk-USA einen radikalen Umbruch. Die angekündigten Zölle werden die europäische Wirtschaft und die Gesellschaften noch mehr belasten. Wenn die USA sich auch noch aus der Unterstützung der Ukraine zurückziehen, liegt die Verantwortung bei Europa, die Ukraine dann alleine gegen Russland zu unterstützen. Ein Russland, das schon jetzt alles tut, um die europäische Demokratie zu zersetzen. Umso wichtiger ist jetzt, dass Europa mutig zusammenhält, statt die Strategien von Trump, Orban und Co. übernimmt und sich weiter spalten lässt. Konkret heißt das für meinen politischen Fachbereich, die europäischen Regeln im digitalen Raum konsequent zu verteidigen und umzusetzen. Und gleichzeitig mit dem Aufbau eigener europäischer Infrastruktur von Clouds über Social Media zu Künstlicher Intelligenz unabhängiger von den Tech-Konzernen in den USA und China zu werden.
Ihr merkt: Ich bin fest entschlossen weiterzumachen. Kein Verkriechen, sondern mit Mut nach vorne.
In diesem Sinne,
Eure Alexandra Geese