Lasst uns nicht allein! – Mein politischer Reisebericht nach Washington D.C.
Liebe Freund*innen!
Nicht mal 2 Wochen nach der US-Wahl bin ich in den Flieger nach Washington D.C. gestiegen, um mit Zivilgesellschaft, Aktivist*innen und Entscheidungsträger:innen im Kongress und im Weißen Haus zu sprechen.
Wir haben über Demokratie, digitale Plattformen und die Strategien für eine zweite Trump-Amtszeit gesprochen. In dieser Mail nehme ich Euch mit in meine Meetings. Was sie alle vereint: Die Niedergeschlagenheit und nicht selten Angst angesichts der von Trump und seinen Leuten angedrohten Repressionen und Verfolgungen. Und die große Bitte an uns in Europa: Lasst uns nicht allein!
Das sind meine Stationen:
- Station 1: Beim Runden Tisch der Zivilgesellschaft zwischen Ratlosigkeit und Widerstand
- Station 2: Das Weiße Haus und die Angst vor Trumps Vergeltung
- Station 3: Im Senat zeigt sich: Europa geht voraus und das ist gut so!
- Station 4: Die Federal Trade Commission im Fadenkreuz von Musks “DOGE”
- Station 5: Der große Eklat bei der Konferenz von Project Liberty und die Hoffnung in der Blauen Wolke
- Mein Fazit: Die Lage in den USA ist ernst und bedrohlich, aber wir in Europa sind nicht machtlos.
Hier lest Ihr alle Details:
Station 1: Beim Runden Tisch der Zivilgesellschaft zwischen Ratlosigkeit und Widerstand
Mein erster Termin am Montag in Washington war ein runder Tisch mit einer ganzen Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Bereich Demokratie, Verbraucherschutz und Digitales. Die Stimmung ist gedrückt. Die Wahl ist verloren und die Angst vor Verfolgung durch die neue Regierung ist groß. Es herrscht Ratlosigkeit.
Ihre Analysen sind für mich spannend: Besonders im Zentrum stand der große Einfluss sozialer Medien, der, insbesondere zum Thema Migration, die Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat. Schaut man, wie die Mehrheit der US-Amerikaner:innen den rechten Fernsehsender Fox News, sah man unablässig Bilder von Menschenmassen, die die Grenze überschreiten. In der Runde wird die Einschätzung geteilt, dass der US-amerikanische Arbeitsmarkt diese Menschen braucht und gut aufnimmt. Das eigentliche Problem seien die niedrigen Löhne, die viele Menschen in Armut treiben.
Interessant war auch die Erkenntnis, dass in vielen Staaten Menschen zwar für Trump gestimmt haben, aber nicht für seine rechte und neoliberale Agenda. Im konservativen Missouri zum Beispiel stimmten die Wählerinnen und Wähler in einem Referendum für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und einen höheren Mindestlohn, aber auch für Trump. Trump ist es sogar gelungen, sich an einigen Stellen als Verteidiger sozialer Rechte darzustellen, zum Beispiel bei dem Vorschlag, Trinkgelder als Lohnkomponente nicht zu versteuern. Der Wunsch nach niedrigeren Lebenshaltungskosten und weitergehende soziale Rechte waren für viele Menschen zentral. Genauso stimmten die Menschen in vielen Staaten für weitgehende Abtreibungsrechte, aber auch für Trump. Trumps Selbstdarstellung als “Anti-Establishment”-Kandidat ist also voll aufgegangen. Die Grenzen eines traditionellen Politikverständnisses und traditioneller Rechts – Links – Kategorien verschwimmen. Stattdessen dominieren soziale Medien, die auf starke negative Emotionen wie Angst und Wut setzen, das politische Geschehen.
Schaut man sich dann weiter an, wer wie gewählt hat, fällt eines auf: Wer sich regelmäßig mit Politik beschäftigt, stimmte mehrheitlich für Harris, wer sich wenig oder gar nicht politisch informierte, mehrheitlich für Trump.
Auf die Frage, was wir in Europa für den Erhalt von Demokratie und die Rechte der Menschen in den USA tun können, kommt eine klare Antwort: Es wird viel Hoffnung auf Europa gesetzt.
Europa muss jetzt stark bleiben, sich autoritären Tendenzen widersetzen und gerade im digitalen Bereich die gute Gesetzgebung konsequent durchsetzen, damit in sozialen Medien alle Meinungen eine Chance haben und nicht nur Hass und Desinformation. Gleichzeitig sollten wir die USA nicht aufgeben, sondern mit den Bundesstaaten, wie zum Beispiel Kalifornien, zusammenarbeiten, die selbst progressiv unterwegs sind und ein großes Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit Europa haben.
Station 2: Das Weiße Haus und die Angst vor Trumps Vergeltung
Der nächste Termin führt mich in das Herz der Macht: das Weiße Haus. Die Stimmung im Weißen Haus ist düster. Im Mittelpunkt des Gespräches steht die Angst um Mitarbeitende und Wissenschaftler*innen, die von jetzt an von Mitgliedern der zukünftigen Regierung hart angegangen werden. Bei Themen wie Klimawandel oder Gesundheit sind Fakten nicht erwünscht. Es ist nicht der normale Übergang von einer demokratischen Regierung zur nächsten einer anderen Farbe, sondern ein Gefühl des Untergangs der Demokratie an sich, bei dem der Sieger Rache am Besiegten nimmt. Das Gespräch fokussiert auf die Rolle von Desinformation und bezahlter Werbung, mit der im Sekundentakt Lügen verbreitet wurden. Gut, dass wir in Europa Gesetzgebung beschlossen haben, die eine ähnliche Intransparenz zumindest bei der bezahlten politischen Werbung in Zukunft verhindern wird.
Station 3: Im Senat zeigt sich: Europa geht voraus und das ist gut so!
Meine nächste Station in der Politik ist der Senat. Dort treffe ich mich mit dem Büro von Senator Edward Markey, ein progressiver Senator aus Massachusetts, der sich stark für Klimaschutz einsetzt, aber genau wie ich auch am Thema Regulierung von Tech-Unternehmen arbeitet. Markey selbst muss im letzten Moment dann doch schnell zum Abstimmungsmarathon in den Senat, da in diesen Tagen noch im ganzen Land Richter in Amt und Würden gebracht werden. Mit seinem Team spreche ich über Datenschutz, Algorithmen, die Hetze gegen Migranten, Frauen und Transmenschen fördern, und Jugendschutz. Ich bin nur froh, dass wir in der Europäischen Union in den letzten Jahren bereits Gesetze beschlossen haben, die unsere Daten und unsere Demokratie so viel besser schützen. Vieles, was die Amerikanerinnen und Amerikaner sich wünschen, haben wir schon durch das Parlament gebracht. Wir können also jetzt an der Umsetzung arbeiten, um unsere Demokratie stark zu halten.
Station 4: Die Federal Trade Commission im Fadenkreuz von Musks “DOGE”
Auch bei der wichtigen Wettbewerbs- und Tech-Aufsichtsbehörde, der Federal Trade Commission, ist die Stimmung gedrückt. Gerade diese Behörde hat unter der Leitung von Lina Khan in den letzten Jahren mit großem Mut und Engagement, Kartellrechtsverfahren auf den Weg gebracht, um Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Digitalgiganten zu stärken und sie vor unbegrenzter kommerzieller Überwachung – also die Datensammelwut von Google, Meta, Tiktok und Co. – zu schützen. Damit ist jetzt wahrscheinlich Schluss, wenn mit Elon Musk das Silicon Valley Kapital persönlich in der Regierung sitzt. Er hat bereits angekündigt, dass er mit seinem so genannten “Department of Government Efficiency” (DOGE) zahlreiche Behörden entmachten will, voraussichtlich genau diejenigen, die seinen Unternehmen Grenzen setzen, um die Umwelt oder die amerikanischen Steuerzahler*innen zu schützen.
Station 5: Der große Eklat bei der Konferenz von Project Liberty und die Hoffnung in der Blauen Wolke
Die große Konferenz des “Project Liberty”, an der ich am Freitag als Vertreterin des EU-Parlaments teilnehme, sollte eigentlich ein Fest sein. Project Liberty Initiative wollte den amerikanischen Arm von TikTok kaufen und ein soziales Netzwerk ohne Überwachung und toxische Algorithmen daraus machen (Mehr Infos dazu hier). Aber auch auf dieser Konferenz ist die Stimmung gedämpft. Niemand glaubt wirklich daran, dass eine von Trump geführte Regierung zulassen wird, dass eins der größten sozialen Netzwerke von einem dem Demokraten nahestehenden Unternehmer und seinem Projekt übernommen wird.
Aber direkt auf dem ersten Panel kann ich live und in Farbe beobachten, wie die Debatte nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch im echten Leben eskaliert. Eigentlich sollte es nur um Datenschutz gehen, bei denen Demokraten und Republikaner durchaus Schnittmengen haben. Auf der Bühne saßen dazu der demokratische Abgeordnete des Silicon Valley, Ro Khanna, und die Republikanerin Nancy Mace. Mace hatte es in den Tagen vor der Konferenz konstant in die Schlagzeilen geschafft, weil sie einer demokratisch gewählten Transfrau im Repräsentantenhaus den Zugang zur Damentoilette verwehrte.
Anstatt die Frage nach dem Datenschutz zu beantworten, startete sie mit einem verbalen Angriff auf Transmenschen. Darauf reagierte aus dem Publikum die Aktivistin und Sängerin Evan Greer. Die Debatte kam vollkommen vom Thema ab. Ro Khanna bemühte sich um einen sachlichen Beitrag zur eigentlich gestellten Frage, die Lügen über Trans-Menschen blieben unangefochten im Raum stehen. So geht Aufmerksamkeitsökonomie: Lügen bleiben im Gedächtnis und werden immer mehr zum Mainstream. Viele Menschen am Publikum werden sich an Nancy erinnern, nur wenige an ihren demokratischen Diskussionspartner, der mit Fakten zum Thema spricht.
Hoffnung gibt es erst am zweiten Tag der Konferenz sitzt Jay Greber auf dem Podium, die Chefin der X Alternative Bluesky, die gerade einen enormen Zuwachs an Nutzer*innen verzeichnet, die von X enttäuscht sind, und Musks rechts extreme Hassschleuder nicht mehr weiter füttern wollen. Sie zeigt: es geht auch anders. Soziale Netzwerke funktionieren auch ohne Überwachung und toxische Algorithmen und können ein Ort sein, an dem Menschen sich austauschen und vernetzen, Informationen finden und politisch diskutieren (hier bin ich selbst bei Bluesky aktiv.)
Mein Fazit: Die Lage in den USA ist ernst und bedrohlich, aber wir in Europa sind nicht machtlos.
Als ich dann wieder in Brüssel bin, kommen Nachrichten von Menschen, die ich in den US getroffen habe, mit einer Bitte: Wenn sich die Ankündigungen von Trump bewahrheiten, lasst uns nicht allein! Helft uns aus den USA rauszukommen. Das ist nicht einfach nur daher gesagt, das habe ich dort schon gespürt. Auch wenn Trump wie gestern in Paris den Staatsmann gibt, müssen wir in Europa sehr genau hinschauen, was er in den USA tut. Denn sich im Ausland moderat zu geben und im eigenen Land den Rechtsstaat zu schleifen und Bürgerrechte sukzessive abzubauen, das ist eine Strategie der Neuen Rechten, die man auch sehr gut bei Giorgia Meloni beobachten kann. Davon dürfen wir uns nicht täuschen lassen.
Und wir können noch mehr tun: Leute wie Trump, das eint ihn mit Putin, verstehen nur Härte. Wir müssen hart bleiben bei der Plattformregulierung und uns nicht von den Drohungen aus den USA einschüchtern lassen. Das war auch die klare Bitte meiner Gesprächspartner*innen. Bleibt hart, das hilft uns!
Klar ist aber auch: Jetzt mehr denn je müssen wir als Europa unabhängiger werden von den USA und China und unsere eigene digitale Infrastruktur für KI, Cloud und Social Media aufbauen. Auch das hilft am Ende den Demokratie-Verteidiger*innen in den USA, denn es schwächt die politische Dominanz von Musk, Bezos und Co.
Mit entschlossen Grüßen,
Eure Alexandra Geese
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P.S.: Wenn Ihr noch mehr dazu hören wollt, welche Rolle Social Media für die Demokratie steht und wie man Digitale Propaganda eindämmen kann, hört Euch diesen Podcast von der Heinrich-Böll-Stiftung an. Mit vielen klasse Leuten durfte ich dort diskutieren. Es lohnt sich.