Chatkontrolle im EU Parlament: Ausschuss stimmt für eine starke Position
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) hat gestern zur Chatkontrolle abgestimmt (Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, Gesetzesvorschlag). Mit dieser Stellungnahme haben wir viele Verbesserungen am Kommissionsvorschlag vornehmen können. Unsere grüne Fraktion hat für den Text gestimmt und damit in vier wichtigen Punkten eine Stärkung der Bürger*innenrechte erreicht.
Was wäre passiert, wenn wir wie die FDP gegen den Vorschlag oder einzelne Kompromisse gestimmt hätten? Dann wäre automatisch der Kommissionstext als Parlamentstext angenommen worden. Das hätte Abstriche bei den Grundrechten bedeutet: Bruch der End-zu-End-Verschlüsselung, Analyse von “Grooming”, Alterskontrolle, Prüfung unbekannter Darstellungen. Dies haben wir in mühsamen Verhandlungen verhindert. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie EDRi hatten im Vorfeld dazu aufgerufen, die Kompromisse zu unterstützen. Das Ergebnis ist nicht die Lösung, die wir als Grüne allein geschrieben hätten. Aber es ist ein Kompromiss, der Schlimmeres verhinderte. Für uns Grüne ist klar: Bei der Wahl zwischen mehr oder weniger Grundrechten haben wir uns natürlich für mehr Grundrechte entschieden.
Das steht in der IMCO-Stellungnahme:
1. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
Der IMCO-Ausschuss hat ein hohes Schutzniveau für die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung festgelegt. Die Stellungnahme erkennt an, wie wichtig es ist, die private Kommunikation der Menschen zu schützen und sicherzustellen, dass das Gesetz keine Hintertüren für das Ausspionieren der privaten Räume öffnen darf.
Aus der IMCO-Stellungnahme, Artikel 6a (neu):
„Diese Verordnung ist nicht so auszulegen, dass sie die Bereitstellung oder Nutzung verschlüsselter Dienste verbietet, einschränkt oder untergräbt, noch ist sie so auszulegen, dass sie Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft verbietet, ihre Dienste unter Verwendung einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bereitzustellen. Die Mitgliedstaaten dürfen Anbieter relevanter Dienste der Informationsgesellschaft nicht daran hindern oder davon abhalten, verschlüsselte Dienste anzubieten oder ihre Dienste unter Verwendung von Verschlüsselung bereitzustellen.“
2. Keine Suche nach Grooming
Sehr positiv ist die vorgeschlagene Streichung der automatisierten Suche nach Grooming aus den Scan-Pflichten. Zahlreiche Expert*innen hatten zuvor gewarnt, dass solche Technologien nicht zweckdienlich seien, weshalb der IMCO-Ausschuss nun stattdessen Sicherheitsmaßnahmen „by Design“ vorschlägt.
3. Keine Pflicht zur Alterskontrolle in App Stores
Der Ausschuss hat die obligatorische Altersüberprüfungspflicht („age verification“) abgeschafft, da die aktuell existierenden Tools sowohl für Kinder als auch für Erwachsene Probleme mit sich bringen. Sie können Menschen manipulativer Überwachungswerbung aussetzen und die digitale Identifizierung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und den Zugang zu Online-Diensten zur Pflicht machen. Stattdessen fügt der IMCO-Ausschuss mehrere Schutzmaßnahmen hinzu, wenn Anbieter sich freiwillig für die Verwendung von Altersüberprüfungsmethoden entscheiden – sie müssen jegliche biometrische Datenverarbeitung und soziale Ausgrenzung, beispielsweise für Personen ohne Ausweisdokumente, vermeiden sowie die Daten junger Menschen schützen.
4. Keine Chatkontrolle für neues Material und unbekannte Darstellungen
Die IMCO-Stellungnahme weicht vom Vorschlag der Europäischen Kommission ab und erkennt an, dass die Scan-Pflicht und die Aufdeckungsanordnungen (Artikel 7) problematisch sind, und ergänzt daher, dass eine Anordnung immer bereits Verdächtige, also „Informationen zu einem bestimmten Benutzer, einer bestimmten Benutzergruppe oder einem bestimmten Vorfall“ in Betracht ziehen muss.
Allerdings hatte sich unsere Fraktion vergeblich dafür eingesetzt, die Anordnungen noch zielgerichteter zu machen. Leider wurde dies in den Verhandlungen verwässert.
Im September wird der federführende Ausschuss (LIBE) des Europäischen Parlaments über den Bericht abstimmen, der derzeit verhandelt wird, und auf den die IMCO-Stellungnahme Einfluss haben wird. Der LIBE-Ausschuss, der für die Sicherung der Grundrechte zuständig ist, kann nun dafür sorgen, dass die Aufdeckungsanordnungen tatsächlich zielgerichtet und grundrechtskonform formuliert werden. Dafür werden wir uns einsetzen. Eine schwache IMCO-Position hätte auch die Verhandlungen im LIBE negativ beeinflusst.
Wären also diese Kompromisse im IMCO nicht angenommen worden, wäre damit der ursprüngliche und schlechte Kommissionstext durchgekommen, und der federführende Ausschuss hätte ein falsches Signal erhalten.
Erst nach der Abstimmung im LIBE-Ausschuss geht es ins Plenum und dann mit dem im Plenum verabschiedeten Text in den Trilog, also die Verhandlungen mit dem Rat. Wir werden also noch zwei Mal über den endgültigen Text abstimmen. In dieser Phase geht es darum, Alternativen zum Kommissionstext auf den Tisch zu legen. Leider zeichnet sich aktuell eine breite Mehrheit für den Kommissionsvorschlag ab. Es gibt keine Mehrheiten für eine komplette Ablehnung des Vorschlags. Daher geht es in dieser Phase darum, bessere Vorschläge in die Verhandlungen einzubringen.