23. Januar 2023

Alles, was ihr über die neuen Regeln für politische Werbung wissen müsst

Politische Online-Werbung ist ein relativ neues Phänomen, das noch nicht ausreichend reguliert ist. Diese Regelungslücke bedroht die Integrität der Wahlen durch Wählermanipulation, intransparente Kampagnen und Desinformationskampagnen. Daher hat die EU-Kommission Ende 2021 einen Entwurf mit Regeln für die Transparenz sowie für das Targeting und die Amplifizierung von politischer Werbung vorgestellt. Lest hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur neuen Verordnung:

 

1. Warum brauchen wir Regeln für das Targeting von politischer Werbung? 

 

Prominente Beispiele wie “Cambridge Analytica” und die Brexit-Kampagne, aber auch alle relevanten Wahlen der vergangenen Jahre haben in der Analyse gezeigt, dass versucht wird, das Ergebnis von außen zu beeinflussen: Mit Geld und Daten können Wähler*innen manipuliert werden.

 

Jüngste Enthüllungen von Facebook-Whistleblowern Frances Haugen haben deutlich gemacht, wie die Geschäftsmodelle großer Tech-Unternehmen wie Google oder Meta (Facebook) eine entscheidende Rolle bei der Verstärkung dieser Probleme gespielt haben. Die Plattformen sitzen auf Bergen von persönlichen und zum Teil sehr intimen Daten, die es ermöglichen, psychologische Profile zu erstellen. Solche Profile können dann missbraucht werden, um potenzielle Wähler*innen mit maßgeschneiderten Botschaften zu erreichen und so die öffentliche politische Debatte zu fragmentieren. Damit können Parteien oder andere Organisationen unterschiedliche Botschaften an unterschiedliche Gruppen ausspielen, z.B. „freie Fahrt für Dieselfahrer” an ältere Männer oder „Wir machen Klimaschutz” an jüngere Frauen. Botschaften, die Angst auslösen, können gezielt besonders ängstlichen Menschen oder Menschen mit psychischen Störungen angezeigt werden.

 

Cambridge Analytica war leider kein Einzelfall, sondern ist mittlerweile Normalität im Geschäft mit politischer Werbung: Spezielle PR-Agenturen, häufig mit Sitz in London, erarbeiten ganze Kampagnen auf Grundlage von Datenprofilen – besonders gerne für rechtsextreme Parteien. Belegen konnte dies zuletzt Investigativ-Journalist Peter Kreysler in seinem Film „Wahlkampf Undercover“ für den NDR.

 

2. Welche neuen Regeln sollen für Empfehlungsalgorithmen künftig gelten? 

 

Der Text des Rates (“die allgemeine Ausrichtung”) enthält auch Regeln für Empfehlungsalgorithmen.

 

“Article 12 Prohibitions related to targeting and amplification

 

1.Targeting or amplification techniques that involve the processing of special categories of personal data referred to in Article 9(1) of Regulation (EU) 2016/679 and Article 10(1) of Regulation (EU) 2018/1725 in the context of political advertising are prohibited.”

 

Empfehlungsalgorithmen sind ein gut gehütetes Geheimnis der Plattformen. Sie sorgen dafür, dass jede und jeder von uns etwas anderes bei YouTube Autoplay (Up Next), in der Instagram- oder Facebook-Timeline oder dem Tiktok-Feed sieht. Nach welchen Kriterien diese so genannte Amplifikation geschieht, ist bisher nicht nachvollziehbar.

 

Expert*innen wie Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen gehen davon aus, dass der entscheidende Faktor für die Verbreitung von Inhalten die Interaktionen der Nutzer*innen mit dem Content ist. Wenn die Wahrscheinlichkeit bei einem Beitrag hoch ist, dass viele Menschen ihn teilen oder kommentieren, wird die Botschaft in viele Timelines gespült. Die Interaktion fällt nachweislich immer dann besonders stark aus, wenn die Botschaft negative Gefühle wie Angst und Wut auslöst, denn dann schauen wir nicht nur passiv zu, sondern wollen handeln. Negative Emotionen werden besonders durch Desinformation – gelogene oder irreführende Inhalte – und durch extremistische, meistens rechtsextreme Botschaften oder durch Verschwörungserzählungen ausgelöst. Dadurch sehen überproportional viele Menschen diese Inhalte, denn damit kann man sie im Netz halten und ihnen Werbung zeigen. Das ist das Geschäftsmodell des Internets, damit verdienen soziale Netzwerke ihr Geld. Dieses System führt dazu, dass sich Lügen und rechte Propaganda schneller verbreiten und mehr Menschen gezeigt werden als Fakten und demokratische Inhalte.

 

Ein Beispiel: Im Bundestagswahlkampf 2021 hat die Facebook-Seite des russischen Staatssenders Russia Today mehr Interaktionen erzeugt als die Seiten von Bild, Spiegel oder der Tagesschau. 64 Prozent aller Interaktionen auf den Facebook-Seiten der politischen Parteien entfielen auf die AfD.1

Eine derartige Verzerrung – dass etwa TV-Sender im Bundestagswahlkampf bevorzugt Videos der AfD ausstrahlen würden – ist dank klarer Regeln in anderen Medien undenkbar. Oder liegt die höhere Interaktion im Netz etwa daran, dass Menschen lieber AfD-Seiten ansehen als andere?

 

Die Antwort gibt ein Projekt der Süddeutschen Zeitung zusammen mit The Markup: Diese gemeinsame Recherche hat mithilfe einer Browser-App Daten aus den Feeds von Facebook-Nutzer*innen mit verschiedenen demografischen Hintergründen gesammelt. Anhand dieser Daten konnte analysiert werden, wie die Facebook-Accounts der großen deutschen Parteien ihre Anhängerinnen und Anhänger erreichen. Über 200 Facebook-Seiten der AfD wurden der Versuchsgruppe angezeigt – viel mehr als Seiten als von allen anderen Parteien. Die Posts der AfD landeten vier Mal so häufig in der Timeline der Versuchsgruppe wie die Posts der SPD. Sie sahen also 3.200 Mal AfD-Beiträge und nur 760 Mal Beiträge der SPD. Das lag nicht daran, dass die Versuchsgruppe bereits mehrheitlich Interesse an AfD-Beiträgen gezeigt hätte, nur 44 Personen waren AfD-Wähler*innen, im Gegensatz zu jeweils 62 SPD- and 82 CDU/CSU-Anhänger*innen. Allein der Algorithmus sorgte dafür, dass AfD-Werbung vier Mal sichtbarer war, unabhängig von den Interessen der Adressat*innen. Ein großes zivilgesellschaftliches Bündnis, das an der EU-Verordnung arbeitet, geführt von European Partnership for Democracy (EPD), weist auf die Risiken von Empfehlungsalgorithmen hin:

 

Da das Ziel der Plattformen darin besteht, ihre Gewinne aus der Werbung zu maximieren, hat der Einsatz von Amplifizierungsalgorithmen für politische Werbung inhärente und unerwünschte Nebeneffekte, darunter die Schaffung von Filterblasen, die Verstärkung von Polarisierung und die Fragmentierung der öffentlichen Debatte.“

 

Aus gutem Grund ist politische Werbung im Fernsehen und in der Presse klar geregelt. Im Internet dagegen entscheiden die Algorithmen von Google, Facebook & Co weiterhin, wer welche politische Werbung zu sehen bekommt. Das darf nicht sein. Demokratie braucht auch online transparente Regeln für politische Werbung. 

 

Derzeit gehen die Positionen der drei EU-Institutionen (Parlament, Rat, Kommission) zu den Empfehlungsalgorithmen noch weit auseinander. Der Rat der EU schlägt Einschränkungen für Amplifizierung – also zugeschnittene Empfehlungsalgorithmen – vor. Das EU-Parlament löscht „Amplifizierung“ aus seiner Position und ersetzt es durch „Ad Delivery“ (also die Optimierung der Ausspielung der Anzeige durch Online-Plattformen oder Werbedienste).

 

3. Wird die EU demnächst YouTuber wie Rezo „verbieten“?

 

Nein. Die Behauptung von RobBubble stimmt so nicht. In der Verordnung steht kein einziger Satz, der YouTuber oder andere Kreative „verbietet“. Auch die Regeln, die das Parlament jetzt verabschiedet, werden wohl kaum die Möglichkeiten von privaten Webvideoproduzent*innen einschränken. 

 

Laut Entwurf sollten auch keine Transparenzpflichten für derartige private Videos gelten. Es sei denn, der/die Nutzer*in hat eine Gegenleistung oder Bezahlung für die Verbreitung der Botschaft erhalten. Im Entwurf der Verordnung steht dazu:

Hierbei handelt es sich um erklärende „Erwägungsgründe“ der Verordnung. Wenn man sich jedoch den Artikel 12 des Kommissions-Entwurfs und den Text des Rates anschaut, würde die Einschränkung beim Targeting in Artikel 12 auch dann gelten, wenn es sich nicht um eine “Dienstleistung“ handelt.

 

Sollte der Ratstext angenommen werden, könnten Rezos Videos bezüglich der personalisierten Empfehlungen jedoch betroffen sein – wobei Rezo wiederum journalistisch so sorgfältig arbeitet, dass er wahrscheinlich unter die dafür vorgesehene Ausnahme fällt. Ebenfalls betroffen wären aber auch Beiträge von vielen rechtsextremen Kanälen, die heute von Empfehlungsalgorithmen bevorzugt werden und die oft die Algorithmen perfekt ausnutzen. Ihre Beiträge werden viel mehr Menschen in die Timeline gespült als Beiträge von faktenbasierten und konstruktiven Kanälen.

 

4. Warum soll Regierungs-Kommunikation ausgenommen werden?

 

Im Rat, der diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, sind die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten. Sie haben ein Interesse daran, bestimmte Information wie zum Beispiel das Datum von Wahlen oder die Verfügbarkeit von Impfungen auch in den sozialen Netzwerken kommunizieren zu können.

 

Wichtig wäre es, in der Verordnung festzulegen, dass Regierungen keine Werbung für sich selbst machen oder dass für sie nicht weniger Auflagen für Regierungswerbung gelten – während die Opposition sich an strikte Regeln halten muss. Gleichzeitig muss aber sichergestellt werden, dass neutrale Botschaften und Informationen der Regierung an Bürger*innen nicht unter die Verordnung fallen. Dafür eine gesetzliche Regelung zu finden, ist nicht einfach.

 

Der Rat der EU hat im Dezember 2022 eine Position angenommen, die noch lange nicht das fertige Endprodukt darstellt. Die breite Ausnahme des Rats ist tatsächlich bedenklich, wenn man sich vor Augen hält, was eine solche EU-Verordnung für Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn bedeuten würde:

 

Artikel 2(2): „Politische Werbung umfasst nicht iii. öffentliche Kommunikation von, für oder im Namen einer Behörde eines Mitgliedstaats, einschließlich von Regierungsmitgliedern, sofern sie nicht darauf abzielt, das Ergebnis einer Wahl oder eines Referendums, das Abstimmungsverhalten oder einen Gesetzgebungs- oder Regelungsprozess zu beeinflussen“

 

Das EU-Parlament arbeitet noch an seiner Position und strebt keine derartige Ausnahme für Regierungskommunikation an.

 

5. Wie stark beeinflussen Lobbys den Prozess?

 

Die Digitalbranche gibt in Brüssel mit Abstand mehr Geld als andere Branchen für Lobbyarbeit in den europäischen Institutionen aus. Insbesondere Google versucht derzeit aktiv, Einfluss auf den Text der Verordnung zu nehmen. Dahinter steht das Interesse, das eigene Geschäftsmodell zu verteidigen, das darauf ausgerichtet ist, möglichst hohe Werbeeinnahmen zu kassieren und Menschen mit viralen organischen Inhalten länger auf der Plattform zu halten und Interaktionen zu steigern. Google will verhindern, dass Empfehlungsalgorithmen transparent gemacht werden müssen und fürchtet jeden staatlichen Eingriff in die gewinnoptimierte Maschine.

 

Google verbreitet die irreführende Behauptung, dass „künftig keine Videos mit (politischen) Botschaften mittels personalisierter Empfehlungen verbreitet werden dürften“. So hieß der Wortlaut einer Lobby-Email, die unser Büro erreichte. Einerseits können Videos natürlich weiterhin hochgeladen und somit „verbreitet“ werden. Andererseits aber stimmt es, dass sich die Einschränkung, die der Rat vorschlägt, auf das selektive Ausspielen von Inhalten an bestimmte Personengruppen nach undurchsichtigen Kriterien (Amplifizierung) bezieht. Videos würden weiterhin gesehen werden, aber nach Zufallsprinzip von Menschen aus allen Bereichen unserer Gesellschaft. Außerdem würden AfD-Inhalte dann nicht mehr vier Mal häufiger als SPD-Inhalte angezeigt werden.

 

Google will die Verordnung auf „Dienste“ einschränken, die bezahlt werden. Das könnte unter Umständen bedeuten, dass Fälle, in denen Google die eigenen Dienstleistungen für Werbezwecke im eigenen Interesse nutzt (und wo keine Bezahlung passiert) von der Verordnung ausgenommen sind.

 

Es bedeutet auch, dass politische Akteure wie Parteien weiterhin undurchsichtiges Targeting von Wähler*innen betreiben können, solange sie dafür keine externen Dienstleister in Anspruch nehmen.

 

6. Wann ist mit einer Einigung zu rechnen?

 

Es gibt momentan noch keinen finalen Text für diese Verordnung und noch keinen Entwurf für die finale Abstimmung zwischen den drei Instanzen der EU: Kommission, Rat und Parlament. Aber die ersten zwei Hürden der EU-Gesetzgebung sind genommen: Die Kommission hat einen Vorschlag für den Text vorgelegt und der Rat hat ihn in einer sogenannten “allgemeinen Ausrichtung” angenommen.

 

In den kommenden Monaten müssen sich nun das Parlament und der Rat als Co-Gesetzgeber im Austausch mit der Kommission auf eine endgültige Fassung einigen.

 

Die bisherigen Arbeitsschritte im Überblick:

 

Die Verordnung zu politischer Werbung wurde von der EU-Kommission am 25. November 2021 vorgeschlagen.

 

Der Rat der EU, die 27 Mitgliedstaaten, haben sich am 6. Dezember 2022 auf eine gemeinsame Position geeinigt.

 

Das EU-Parlament arbeitet noch an seiner Position.  Der Parlaments-Text wird am 24. Januar 2023 im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz abgestimmt, die Plenarabstimmung soll Anfang Februar folgen. Danach startet der Trilog der drei Institutionen. Ich rechne mit einer Einigung vor dem Sommer – damit die Regeln spätestens zur Europawahl in Kraft getreten sind und angewendet werden.

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